Kaffeetrends – In welcher Wave sind wir gerade und was kommt als nächstes?

Wenn man Allegra aus UK glauben mag, sind wir in der 5. Welle: Die globale Kaffeeindustrie werde einen größeren Einfluss von hochwertigen Ketten sehen, die fortschrittlichere Geschäftspraktiken umsetzen und gut gestaltete handwerkliche Konzepte in großem Maßstab liefern… Hyperprofessionalität, operative Exzellenz, Investitionen in Technologie sowie Schulungs- und Personalentwicklungsprogramme. The Barn in Berlin oder die Röstbar in Münster wären Beispiele dafür in Deutschland. Also ein Skalieren der kleinen hochwertigen Shops.

Ich gehe grundsätzlich davon aus, dass der Trend zu hochwertigem Specialty Coffee auch in den nächsten Jahren weiter anhält. Mehr und mehr Menschen kommen auf den Geschmack von Kaffee als Genussmittel. Auch Fragen der Nachhaltigkeit – sozial wie ökologisch – werden lauter. Ob das nun mit Siegeln bedient wird, mit der ernsthaften Transparenz bis zur Farm oder dem Thema direct trade: in der Breite finden die Themen in Zukunft mehr Beachtung als bisher in der Nerd-Nische. Die Frage, welche Welle das ist, ist dann am Ende eher interessant für Marketingabteilungen.

Klimawandel und Kaffeeanbau – Was muss geschehen, damit der globale Bedarf auch zukünftig noch gedeckt werden kann?

Der Einfluss der Erderwärmung ist in den letzten Jahren ja in der Landwirtschaft des globalen Südens schon deutlich zu spüren. Wir sehen es beim Kaffee ganz einfach im jährlichen Produktionszuwachs des Robustas im Vergleich zur Arabica-Pflanze. Von 36,5 % in 2016 auf 43,2 % in 2019. Hier können wir uns zum einen auf Entdeckungsreise machen: Robusta kann deutlich mehr Vielfalt und Feinheit bieten, als die meisten glauben. Die Canephora-Pflanze wird in den nächsten Jahren eh dominanter und kann auch hochqualitative Tassen hervorbringen. Zum anderen sollten wir wegen der sozialen und ökologischen Folgen, nicht nur im Kaffeeanbau, versuchen, den Klimawandel so gut es geht abzubremsen. 2019 durfte ich in Äthiopien einen Vortrag von Tadesse Woldemariam Gole vom Environment and Coffee Forest Forum (ECFF) hören. Er hat aufgezeigt, wie ganze Anbauregionen in Äthiopien im 21. Jahrhundert verschwinden werden. Seine Lösung ist, teilweise über neue resistentere Züchtungen die Farmen zu unterstützen. Langfristig wird es aber eine Migration der Anbaugebiete in höhere Lagen geben. Das gilt wohl weltweit. Ein Vorschlag, um hier weltweit auch einen Lösungsansatz zu finden, liefert der Ökonom Jeffrey Sachs: ein Mindestpreis für Rohkaffee, nationale Pläne für nachhaltigen Kaffeeanbau, die sich an den Nachhaltigkeitszielen der Vereinten Nationen orientieren und die Einrichtung eines Global Coffee Fund. Mit dem Fond soll extreme Armut unter kleineren Kaffeebauern, der Verlust zahlreicher Arabica-Anbauflächen und Einbußen bei Kaffeepflanzentypen, Anbauregionen und Qualität verhindert werden. Finanziert werden soll der 10 Milliarden-Fond mit Entwicklungs- und Regierungsgeldern sowie Beiträgen der großen Kaffeeröster und -händler.

Bio- und Fair-Trade-Siegel – Wieviel Fairness und Nachhaltigkeit sind bei einem der weltweit wichtigsten Handelsgüter überhaupt möglich?

Das ist eine gute Frage. Mich persönlich hat der Zertifikatehandel noch nicht überzeugt. Einmal im Jahr bin ich auf Ursprungsreise, auch hier zeigen sich die meisten Farmerinnen und Farmer wenig begeistert von den Siegeln. Sie werden ja als erstes zur Kasse gebeten für das Zertifikat und für das Auditing vor Ort. Wenn überhaupt eine Prüfung stattfindet und nicht einfach nach Zahlungseingang ein Zertifikat verschickt wird. So hab ich’s zumindest in El Salvador mitbekommen. Die Grundfrage der sozialen Fairness ist: How much gets the farmer. Das beantwortet leider kein Siegel. Hinzu kommt, dass einzelne Kleinbauern sich alleine gar nicht zertifizieren lassen können. Sie sind systematisch ausgeschlossen von der vermeintlichen Fairness. Hier gibt’s auf Seite der Zertifizierer noch einigen Verbesserungsbedarf. Quijote Kaffee in Hamburg zeigt als Röster, wie maximale Transparenz aussehen kann, die GEPA z.B. scheint als Organisation die Fairness auch anders zu interpretieren, Amarella oder Finca Finest als Rohkaffeeimporteur usw. Am Ende ist auch immer die Frage, wieviel Fairness und Nachhaltigkeit wir als Konsumenten einfordern.

Mehr Specialty, weniger Industrie? – Wieviel Potential siehst du mit steigendem Konsumbewusstsein in einer weiteren Verbreitung des Nischenprodukts Spezialitätenkaffee?

Wenn wir uns die Entwicklungen der großen Kaffeemarken anschauen, geht’s eindeutig hin zum Specialty Coffee. Zunächst vielleicht nur im Verpackungsdesign und Marketing, hier und dort aber auch mit ganz ordentlichen Qualitäten und höheren Preisen der Produkte. Umgekehrt sehen wir auch kleine Röstereien, die einen Monsooned Malabar als Spezialitätenkaffee verkaufen. Die sollten zur Strafe dafür den Kaffee trinken, der eingekauft wird, bevor er in den Regen geworfen, also monsooned, wird. Es verwischen also jetzt schon die Grenzen. Der Trend hin zum Specialty wird sich fortsetzen. In Deutschland stagniert der Pro-Kopf-Verbrauch des Kaffees seit Jahren, Wachstumsfelder sind der Außer-Haus-Verkauf, in dem Bäckereien gerade kräftig aufrüsten. Und eben der Specialty Markt. Seit Jahren gibt es ein kontinuierliches Wachstum, in Deutschland wie in ganz Europa. Nische goes Mainstream.

Technik oder Handarbeit? – Welche Rolle spielt die fortschreitende Technisierung in Sachen Qualität und Quantität von der Farm bis hin zum Endprodukt in unseren Tassen?

Technik in der Landwirtschaft ist zunächst weder gut noch schlecht. Entscheidend ist die grundsätzliche Idee des Farmers oder der Farmerin. Soll Masse oder Klasse angebaut werden? Wie steht es um das agronomische Know-how? Welche Anforderungen werden an die Pflanzungen gestellt: Resistenzen, Ertrag oder Geschmack? Technik kann anschließend unterstützen bei der Bodennalyse, beim Schattenmanagement oder bei der Wasserwirtschaft, der Aufbereitung und der Weiterverarbeitung von Kaffee. Das Problem ist häufig, dass Kleinbauern von der Hand in den Mund leben und kein Kapital zur technischen Aufrüstung haben. Umso wichtiger ist ein Know-how-Transfer. Wie kann ich als Kleinbauer hochwertigen Kaffee produzieren, um von den höheren Preisen etwa eines Specialty-Marktes zu profitieren? In Ostafrika waren wir bei einer Kleinbauernkooperative, die mit Wassertonnen reife und unreife Kaffeekirschen separiert hat. Anschließend wurde mit kleinen manuellen Entpulpern das Fruchtfleisch gelöst. Das findet man sonst in großen Anlagen. Die Technik wurde Low Budget übersetzt. Die Kooperative muss jetzt nicht zum erstbesten Preis verderbliche Ware verkaufen, hat die Qualität deutlich erhöht. Know-how-Transfer ist also das Thema. Ebenso gilt das für uns als Endverbraucher: Knowhow brauchen wir bei der Zubereitung, nicht immer die neuste und teuerste Technik. Eine Siebträgermaschine für 30.000,- € garantiert keine Qualität. Es ist das Know-how in der Zubereitung, dass das Endprodukt in der Tasse glänzen lässt.

Erschienen in Crema April/Mai 2021